WIE IST ES DAZU GEKOMMEN, DASS DU DEN VEREIN GEGRÜNDET HAST?

Oft braucht es einen Anlass, dass Dinge ins rollen kommen. Das stelle ich auch heute oft bei One Day fest. Ein Berufswechsel, eine Krankheit, eine Trennung. Der Faktor Zeit wird durch diese Ereignisse beeinflusst, man bewertet sie dann anders oder hat plötzlich mehr davon. Ich finde zwar Engagement muss nicht zwangsläufig im Ausland stattfinden, aber oft sind es die Erfahrungen vor Ort, die einem die Dinge verdeutlichen und sich tief in die Seele einbrennen.

Es ergab sich die Möglichkeit mit in ein Projekt nach Namibia zu fliegen. Vier Wochen war ich damals vor Ort in der Kalahari Wüste und habe die Menschen und das Land in mein Herz geschlossen. Und vermutlich auch das Gefühl das man erfährt, wenn man Menschen hilft. Ich denke das ist es auch was mich fesselte: Plötzlich ergab alles Sinn. Namibia war damals der Startschuss für alles. Das Land und die Erfahrung haben mich berührt und ich fand den Beitrag oder den Einsatz, den man leisten muss, „einfach“. Etwas für andere zu tun und zu verändern, die nicht so gut dran waren – allein durch äußere Umstände.

Viele dieser Momente, die mich berührten, fing ich auf Kamera ein und eröffnete nach meiner Rückkehr spontan meine erste Ausstellung in einem kleinen Atelier für den guten Zweck. Die Bilder klebten mit Tesa an der Wand und ich lud Freunde und Familie ein. Ich glaube damals kamen 3.000 Euro zusammen. Den Erlös der verkauften Bilder und Kalender setzte ich vor Ort im Projekt des Hoachanas Children Fund ein.

Ich kam die folgenden Jahre wieder nach Namibia. Sicher zehn Mal. Sparte jedes Jahr auf meine Zeit vor Ort. Ich kam jedes Jahr heim und erzählte, zeigte Bilder und erreichte damit Menschen. Hier und dort. Das hat mich nie mehr losgelassen.

Der Entschluss für die Vereinsgründung war eher trivial. Ich zahlte Steuern für die Bilder und Kalender, die ich verkaufte, dabei sollte ja so viel wie möglich vor Ort ankommen. Also gründete ich den Verein. Sieben Mitglieder. Familie und Freunde. Satzung und Co. zu entwickeln, einen Namen zu finden. Das hat noch einige Monate gedauert. Das Schönstee war: als “das Ding” einen Namen hatte, schlossen sich Menschen an. Ich denke genau dafür steht ein Verein. Menschen, die mitmachen. Beim nächsten Mal reisten wir bereits mit einer Gruppe nach Namibia und initiieren eigene Projekte.

WIE KAM ES DANN ZUM PROJEKT IN SIERRA LEONE?

Ich glaube im Leben ist es immer so, dass man sich zwar aktiv auf die Suche machen muss, beginnen muss, “einfach mal machen” muss. Wohin genau Dich der Weg dann aber führt ist oft, naja… Zufall? Glückliche Fügung? Die Dinge entwickeln sich einfach, fügen sich, eins kommt zum anderen.
Die anfangs erwähnte Bilderausstellung machte ich jährlich weiter. Ich hatte Geld übrig und suchte ein eigenes, neues Projekt. Ich recherchierte im Internet, sprach mit verschiedenen Menschen, unter anderem in Kambodscha. Querbeet. Ich war weder auf ein Land oder einen Schwerpunkt, den das Projekt haben sollte, festgelegt. Dienstags ging ich immer zum Sport, schon zwei Jahre lang. Immer die gleiche Gruppe von vier Frauen. Im Anschluss stand ich mit Beate aus besagter Gruppe in der Umkleide und unser Gespräch kam darauf, dass wir ja beide „irgendwas in Afrika machen“. Es stellte sich heraus, dass Beate, die in Deutschland als Psychologin arbeite, in Sierra Leone schon lange Konzepte initiierte, die Gewalt präventiv vermeiden sollen.

Das war 2015. Zu dieser Zeit war Ebola gerade in Sierra Leone ausgebrochen und sie erzählte mir von einem Dorf, in dem 38 Erwachsene verstarben und etliche Vollwaisen hinterließen. Sie wäre froh, wenn ich vielleicht unterstützen könnte, ihre Projekte hätten einen eher wissenschaftlichen Fokus. Ich sagte zu und flog knapp neun Monate später das erste Mal in das Dorf, von dem sie mir erzählte.

IM LETZTEN JAHR WARST DU MEHRER MONATE IN SIERRA LEONE, WARUM DIE LANGE ZEIT VOR ORT?

Zum einen hatte ich es Hannah bei meinem letzten Aufenthalt versprochen. Sie hat oft ebenso viele Ideen und Pläne wie ich und vor allem unbändige Energie.

Wir haben gemerkt, wie viel Power wir gemeinsam haben. Uns ging es darum, dass wir einen neuen Standort für unser Projekt HOPE in Sierra Leone eröffnen wollten. Ich konnte mir sechs Monate unbezahlten Urlaub nehmen, gab meine Wohnung und mein Auto auf und flog rüber. Ich wohnte bei Hannah zu Hause und lernte noch einmal mehr was es bedeutet flexibel zu sein. So wie Afrika eben ist.

Unser Team hat immer gesagt „our expert“ ist hier. Sicher, ich konnte in Sachen Marketing und Netzwerk unterstützen oder mit technischen Knowhow. Aber was ich von unserem Team vor Ort alles lernen konnte war so viel mehr. Wie sie das Leben bestreiten, nie den Mut verlieren, einander die Dinge gönnen… aber auch Fachwissen zur Bewältigung der Traumata. Niemand hatte Probleme vor riesigen Gruppen zu sprechen, niemand beschwerte sich, wenn der Strom wieder einmal ausfiel. Es gab unendlich viel, was mich nachhaltig beeindruckte.

WIE KAMST DU MIT DEN ERLEBNISSEN ZURECHT?

Ich glaube man weiß nie wie stark man ist, bis man es sein muss. Viele Leute in Deutschland sagen mir “oh krass, das könnte ich nicht”. Aber man kann. Wenn ein kleines Kind auf Deinem Schoß sitzt und missbraucht wurde, weinst Du nicht selbst, sondern bist da und bleibst stark. Wenn ein Baby im Busch gefunden wird, zerbissen von Ameisen, badest Du es, cremst es ein und gibst ihm Medizin. Und wenn ein 14-jähriges Mädchen, das von einer Gang vergewaltigt wurde sich neben Dich setzt, während Du am Laptop arbeitest, hörst Du zu. Es geht in diesen Momenten einfach nicht um Dich selbst.

Aber ich würde lügen, wenn ich sage, mir hätte das alles nichts ausgemacht. Mit jedem Ereignis schlief ich schlechter, dachte mehr nach und hinterfragte die Menschlichkeit. Spätestens als ich ein neun Monate altes missbrauchtes Baby im Arm hielt.

Ein Rezept wie man mit diesen Situationen umgeht gibt es glaube ich nicht. Darüber reden. Das hab ich gemacht. Mit Hannah, mit Beate. Geblieben ist eine nicht weichende Motivation, dass „so etwas“ nicht sein darf und ich mich dafür einsetzen will.

WAS HAST DU AUS DIESER ZEIT FÜR DICH MITGENOMMEN?

Flexibel zu sein. Ich wusste nie was morgen ist, ob es Strom gibt, um den Projektantrag zu versenden, ob es 38 Grad im Büro sind und ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann oder welche Umstände auf mich einprasseln. Es erfordert Anpassung, ein Mitfließen und das tun, was gerade möglich ist.

Ich hab die Menschen für ihr Stärke bewundert, meine Kollegen und Kolleginnen für ihr Durchhaltevermögen, nicht zu resignieren und für mehr Humanität zu kämpfen. Einen NGO Partner vor Ort zu haben, dem man vertraut und an den man glaubt, ist unbezahlbar.
Und natürlich viele Menschen, die mir sehr am Herzen liegt, ein Land das trotz seiner Grausamkeit verzaubert. Ein unglaubliches Gefühl von Freiheit und Sinn… vieles hab ich mitgenommen.

WELCHEN EINFLUSS HAT ONEDAY AUF DEINE PERSÖNLICHKEIT?

Andere könnten das vermutlich besser beurteilen als ich selbst, aber ich denke mein Blickwinkel auf die Dinge hat sich verändert. Ich bin in vielen Situationen ruhiger und diplomatischer geworden, urteile nicht so schnell. Oder versuche zumindest nicht nur die Resultate eines Verhaltens zu beurteilen, sondern das Warum zu hinterfragen und zu verstehen. Handlungen und Entscheidungen werden selten auf einer schwarz-weißen Basis gefällt. Es gibt immer Grauzonen, das ist menschlich. Es ist immer ein Abwägen, was letztlich zu einer Entscheidung führt.

Außerdem hat sich mein Wertesystem verändert. Was ist wirklich wichtig, was macht mich glücklich oder was gibt mir Sinn im Leben. Was ich nicht tue, ist Probleme der Menschen in Deutschland abzutun und ich vermeide Sätze wie: „Weißt du eigentlich was wirkliche Probleme sind, die Menschen in Afrika (…)“.

Jeder Kummer und jedes Problem hat erst mal seine Daseinsberechtigung und das Recht gehört zu werden. Für mich ist der Blickwinkel wichtig. Das Problem muss nicht in Relation gesetzt werden.

Um ehrlich zu sein gibt es aber dennoch oft Momente, in denen ich zu emotional reagiere ;).
Ich glaube so ist das, wenn man mit Herzblut für eine Sache kämpft. Jemand hat mal zu mir gesagt, dass ich reagiere wie eine Brausetablette, die man in ein Glas Wasser wirft 🙂

WAS WÜRDEST DU DIR VON EINER GUTEN FEE WÜNSCHEN?

Ich glaube ich würde mir mehr Gerechtigkeit wünschen. Es ist ja ein Feenwunsch, also eine Fee könnte das natürlich verwirklichen 😉

Nein im Ernst, ich finde es einfach wichtig, dass man schätzt in welche Umstände man hineingeboren wurde, welche Privilegien man hat. Einfach dadurch, zufällig an diesem Platz auf der Welt geboren worden zu sein. Ich wünsche mir, dass Menschen diese Möglichkeiten erkennen und nutzen und sich für andere einsetzen, die dieses Glück schlichtweg nicht hatten.

Das beinhaltet auch den Wunsch, dass Menschen nach anderen Zielen und Werten streben. Denn dann hätte die Fee nicht mehr ganz so viel zu tun. Fair ist das nämlich alles nicht verteilt.